Wien, Tag 8
Sie trägt ein schwarzes Kleid mit grossen, roten Rosenblüten und sitzt kerzengerade vor ihm. Die Beine in schwarzen Strumpfhosen sind übereinander geschlagen und stehen ... zwischen den seinen. Dabei kommen ihre Knie - wie selbstverständlich - sehr nah an seinen ... jeansbedeckten ... Mittelpunkt. Ihre Augen lassen nicht von ihm ab, und sie hält den Kopf schräg, wenn sie mit ihm spricht und ihn mit den Augen liebkost. Sie lächelt, gestikuliert. Wenn sie lacht, wiegt ihr Körper zurück und kommt anmutig wieder nach vorne hin zu ihm. Nur ab und zu nascht sie mit einem Löffel aus dem Becher, der genau zwischen dem Paar steht. Dabei werden ihre langen, rot lackierten Fingernägel sichtbar. Der riesige Becher verheisst ein erotisches Feuerwerk an Joghurt, Müsli und roten Früchten.
Das Liebespaar scheint ein Geschenk für mich. Sie sitzen genau vor mir in einer Nische vor den grossen Fenstern mit Blick auf die Votivkirche. Wenn ich malen könnte, würde ich sie malen. Oder modellieren. Sie erinnern mich an Rodins Skulpturen von ineinander fliessenden Körpern.
Ich sitze an der Wand dahinter, unter dem riesengrossen Spiegel, der den Raum noch grösser und heller erscheinen lässt. Über das Croissant habe ich mich geärgert, das kaum besser schweckt als meins daheim und Klassen schlechter als das neulich vom Kiosk bei der U-Bahn-Station Schottenring. Aber - ich sehe sehr gerne darüber hinweg. Sehr gerne. Nicht nur wegen des erotischen Vor-Spiels an diesem Vormittag. Nein, auch der Rahmen stimmt: Das Café Français ist prächtig. Welch ein Raum! In der Mitte lange Holztische mit Holzbänken. Dann der Retro-Stil mit diesen Wein- und Champagnerkisten dazwischen, wie man sie jetzt oft sieht.
Über die Speisekarte musste ich lachen: "Catherine den'Oef" steht für ein Omelette. "Vanessa Paradies" verspricht (paradiesisch) frische Früchte und O-Saft. "Alain, Prost" beinhaltet ein Glas Champagner und "Bel Mondo", naja, ist was für starke Männer - da gibt's Käse und Schinken. Köstliche Wortspiele für Frankreich-affine Gäste.
Doch herrje, ich habe mein Liebespaar aus den Augen verloren. Andere Besucher haben sich zwischen uns gesetzt. Fast erkenne ich jetzt die Frau nicht, die da beim Kellner steht. Der schwarze Mantel verdeckt ein Kleid mit roten Rosen. Ihr Gesicht sieht anders aus, als ich es mir vorgestellt habe. Die Frau zahlt. Doch wo ist der Mann?
In der Nische sitzt nun eine andere Frau. Sicherlich auch eine schöne Frau. Und doch. Wollte ich nicht längst gehen? Die Kellner haben bereits die Mittagskarte ausgelegt. "Dürfte ich bitte nochmal auf die Frühstückskarte gucken?" frage ich und erhalte sie. Und tatsächlich, wie ich es vermutet habe, auf der Frühstückskarte fehlt das französischste aller Gerichte: Brigitte Bardot.
Kommentar schreiben