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Schreiben und Schweigen mit Zen-Meditation

Geh-Meditation

 

Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an einen Weg. Er ist grün und grau. Auch blau und blumig. Er ist reich. Ich gehe langsam. Die Andern gehen langsam. Wie ungewohnt ist das denn?

 

Vorne geht die Zen-Meisterin. Hinter ihr gehen meditierend etwa dreissig Personen, fast alles Frauen. Ganz langsam,  Schritt für Schritt über das wunderschöne Gelände des Felsentors. Ganz hinten geht der Grund für die zahlreich hier versammelt Meditierenden: Die berühmte Schriftstellerin, Regisseurin, Filmproduzentin, Schauspielerin. Sie geht mit uns, langsam vom Meditationshaus Zendo weiter zum Garten mit fulminantem Blick auf den Vierwaldstättersee.

 

Wir sollen in uns kehren. Was mir nicht wirklich gelingt. Gerade erst hier angekommen an diesem Morgen mit dem Gefühl, einiges verpasst zu haben, fällt mein Blick beim Gehen auf die Hauslatschen an meinen Füssen. Mit denen ich mühsam laufe, weil sie zu weit eingestellt sind. Das langsame Laufen nehme ich dankbar an. So ist Stolpern oder Fallen keine Option.

 

Die andern Frauen tragen Sandalen, Turnschuhe oder gehen barfuss. Ich komme mir komisch vor mit diesen Latschen mit Aufdruck „Das Kranzbach“ – ich trage sie nur, weil es bei Ankunft im Haus vor zehn Minuten hiess „Hausschuhe anziehen“. Mit diesen schlurfe ich jetzt also hier rum.

 

Meine Gedanken schiessen von allen Seiten ein, während die Augen die traumhaft schöne Umgebung wahrnehmen. Dieser Garten mit all den Blumen. Dazwischen Bänke aus dicken Baumstämmen. Soll ich hoch zum Garten gucken oder die atemberaubende Kulisse des Sees bewundern? Nein, wohl besser auf den Boden gucken wie die übrigen Geherinnen.

 

Gerade habe ich noch Büromails beantwortet in den diversen Zügen und Bussen hier hoch zum Felsentor. Selbst bei der letzten Etappe mit der Zahnradbahn fast ganz hoch zur Rigi. Jetzt finde ich mich wieder in einer Geh-Meditation. Das Programm habe ich zwar gelesen, aber nicht drüber nachgedacht. Das werde ich in den nächsten 24 Stunden noch öfter bereuen.

 

Die Gruppe geht auf steinigem Weg zum Eingang der Geländes und Namensgeber der Stiftung, dem Felsentor. Ja, irgendetwas in mir ahnt, dass das alles hier Sinn macht. Diese gewaltigen Steine, die ein natürliches Felsentor bilden, durch das wir aus- und einspazieren. Ich nehme den Ort als einen mystischen wahr.

 

Dieses schöne Scheissleben

 

Wir sitzen auf dem Boden im Meditationsraum des Zendo. Die Schriftstellerin sitzt auf einem Stuhl vorne, neben ihr die Freundin und Zen-Meisterin. Und sie führt uns ein ins Schreiben. Bzw. nein, sie führt nicht ein, sie fährt fort mit dem, was sie gestern gelehrt hat. Tag ihrer vorzeitigen Anreise. Tag der vorher freiwillig als „Prologtag“ angekündigt war, um mit dem Zen-Ritual vertraut zu werden. Tag, auf den ich angesichts der augenblicklichen Hochsaison im Büro verzichtet habe. Mir ist somit sowohl die Einführung als auch die Vorstellung entgangen. Und jetzt hocke ich hier auf dem Boden und kämpfe gegen die – zwar vorhersehbare, gleichwohl aber unaufhaltsame – Enttäuschung an, zwar hier zu sein, aber nicht dazu zu gehören. Ein Gefühl, das mehr und mehr Besitz von mir ergreifen wird. Immerhin schreiben wir: Ich erinnere mich an einen Weg …

 

Es folgt das Mittagessen. Vegan und aus eigener Produktion – eine leckere Gemüselasagne und Salate. Es wäre wunderbar, wenn mich da nicht etwas irritieren würde: Im Speiseraum ist es still. Voller Betrieb aber Schweigen. Instinktiv flüchte ich nach draussen, in die Sonne, wo einige Leute mit ihren Tellern hingehen. Ein langer Tisch mit vielen Leuten, die den Anschein erwecken, als würden sie miteinander sprechen, zieht mich an und ich frage: „Darf man hier reden?“ – „Aber klar, geschwiegen wird nur drinnen, und nur bei diesem Kurs.“ Ich atme auf. Es stellt sich heraus, dass die, die hier so erquicklich sich unterhalten, alles Volontäre sind. Studenten, Aussteiger, sehr sympathisch alle – vor allem, weil sie mit mir reden und mich anlächeln.

 

In Zimmer Nummer 23 im Wohnhaus wird das Schweigegelübde allerdings permanent gebrochen. Mir zuliebe. Ich bin Ruth so dankbar! Meine Zimmerkollegin weist mich ein wenig in den Kurs ein, erklärt mir, dass in der Ausschreibung stand, dass geschwiegen wird. Natürlich hab ich das überlesen bzw. hätte nie gedacht, dass „in den Pausen schweigen wir“ bedeutet, dass immer geschwiegen wird.

 

Das Schweigen hat sicher sein Gutes, seine Berechtigung, es schadet nicht. Aber mir setzt es zu. Beim Abendessen, als wegen des schlechten Wetters keine Fluchtmöglichkeit ins Freie besteht, sitze ich schweigend neben einer Teilnehmerin. Eine andere Teilnehmerin sitzt mir schweigend gegenüber. Wir gucken abwechselnd auf unsere Teller und zum Fenster raus, schweigend. Bloss nicht den Andern angucken. Ich fühle mich unwohl. Und muss gegen eine leichte Aggression ankämpfen, dass ich hier schweigend sitzen muss, mich nicht vorstellen darf und keine Ahnung habe, wer so alles mit mir in diesem Kurs ist. Ich komme mir vor wie Anonymus 23A. Ich verstehe das nicht, so vieles nicht.

 

Bei den Meditationen im Zendo sitzen wir auf Kissen mit Blick gegen die Wand. Es gelingt mir nicht, den Kopf freizuschaufeln. In der dritten Schreibsequenz dieses Tages bedankt sich die Schriftstellerin und kündigt an, dass sie morgen bereits nach dem Frühstück abreisen werde. Ich hatte es ja schon gehört – sie kam einen Tag früher und einen Tag kürzer. Die Überschneidung mit mir war gerade mal ein Tag, geplant waren drei. Ich beschliesse, ebenfalls morgen abzureisen. Der Ort hier ist wunderschön. Aber ich kann grad nicht in diese Welt hier eintauchen. Ich wusste, dass der Zeitpunkt ungünstig war, aber ich hatte unbedingt am Schreibkurs teilnehmen wollen.  

 

Ich komme gerne wieder. Ein andermal. Vorbereitet. Und bereit zum Schweigen. Dafür bestimmt mit dem innigen Wunsch zu schreiben.