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Eva Mattes und der Akkordeonspieler im Rigiblick

Der Akkordeonspieler sitzt allein im Scheinwerferlicht auf der Bühne. Seine Finger tanzen virtuos über die runden Tasten zur Rechten des Balgs, während die Linke den Takt angibt. Aus dem Verstärker erklingt eine Musik, die mich an Orgelklänge wie in einer Kirche erinnert. Ergriffen lausche ich. Und wundere mich über das mir verhasste Instrument, das ich als Kind – aus Ermangelung eines Klaviers – zu spielen 'mich redlich bemüht' habe. Ich konnte mich nie mit ihm anfreunden, dem Akkordeon. Den 'Schneewalzer' musste ich damals spielen, wahrlich nicht meine Musik. Und jetzt hier: Tatsächlich Johann Sebastian Bach auf dem Akkordeon. Und es geht mir durch und durch.

 

Scheinwerfer fallen auf die Frau mit dunklen, langen Haaren, ovalem Gesicht und den markanten Leberflecken: Eva Mattes steht am Mikrofon, keine zehn Meter vor mir. Sie spricht und zitiert. Sängerinnen kommen dazu. Und dann singt auch Eva Mattes. 'Auf Flügeln des Gesanges' heisst der Abend, in dem die Schauspielerin eine 'bewegte Liederreise' veranstaltet, bei der sie von vier Vokalsolistinnen begleitet wird. Mit wenig Requisite – einem roten Tuch, einem Fransenschal, der Andeutung eines Vollmonds im Hintergrund – gewährt der Abend Raum für wundervolle Stimmen. Sie singen oft in italienischer Sprache, ich verstehe die Worte nicht, doch die Stimmen berühren. Die Frauen ziehen von Italien nach Schweden, sie landen in Deutschland und reisen durch die Jahrhunderte. Das Programm hat mit Flucht und Exil zu tun. Ich muss gestehen, ich bin überfordert, dem genauen Gedankengang zu folgen. Aber ich lasse mich mitnehmen in die Gefühls- und vor allem in die Klangwelten.

 

Eva Mattes. Ich weiss, dass sie Tatort-Kommissarin ist. Aber ich bin kein Tatort-Kenner oder gar Fan, auch wenn das untypisch deutsch ist. Und trotzdem kenne ich sie und bin mir jetzt sicher, dass sie es war, die ich vor einigen Monaten am Hauptbahnhof Zürich gesehen habe. Ich wusste bis heute nicht, dass sie eine ‚Ikone der Filme von Fassbinder, Werner Herzog, Michael Verhoeven‘ ist. Dass sie eine bedeutende Theaterschauspielerin ist und eben auch Chansons singt. Und am allerwenigsten wusste ich, dass sie die Synchronstimme ‚meiner‘ Pippi Langstrumpf war.

 

Ich bin zum allerersten Mal im Theater Rigiblick. Der bekannte Name der Schauspielerin sowie die Erwartung französischer Chansons hat mich am Samstagabend hoch in den Kreis 6 von Zürich gezogen. Und wer zuletzt kommt … der hat manchmal Glück – genau in der zweiten Reihe ist noch ein Platz frei, der mir beste Sicht auf die Bühne gewährt.

 

Heimlicher Star auf der Bühne ist der Akkordeonspieler. Dariusz Swinoga, der sich als berühmter polnischer Akkordeonist herausstellt, wechselt zwischen zwei Akkordeons, die er sich abwechselnd umschnallt. Er verzaubert mich zwischendurch mit einem französischen Chanson, dessen Namen ich nicht kenne. Doch ich ertappe mich dabei, wie ich mir vorstelle, mir das Instrument wieder umzuschnallen, um die Musik zu spielen, die ich heute mit dem Akkordeon verbinde und die ich liebe … die Chansons von Edith Piaf.

 

Und dann lausche ich ihr wieder, der Sprache dieser Frau mit der unglaublichen Ausstrahlung. Wie ihre Stimme lächelt, wenn sie ins Mikrofon spricht. Wie sie alles ganz einfach richtig betont und natürlich deutlich ausspricht. Wie sie uns mitnimmt in die Zeilen von Goethe, Heine oder von Dichtern, deren Namen ich noch nie gehört habe. 

 

Ein Fest für die Ohren. Live. Für uns - ca. 180 Zuschauer. An diesem verregneten Samstagabend im Mai, hoch oben in Zürich - im Rigiblick. 

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