Sie sind mir schon bei meiner Ankunft am Flughafen Maskat heute Morgen aufgefallen. Die Herren in den weissen Kleidern. Blütenweiss und perfekt gebügelt sind die langen Kittel und gewähren keinen Einblick in das, was drunter getragen wird. Man sieht mal ein Kurzarm-Tshirt unter dem Langarm-Kleid, mehr jedoch nicht, dieses Weiss lässt keine Transparenz zu. Leicht sieht das Tuch aus und trotzdem so fest, als wäre es gestärkt. Gepflegt sehen sie aus, die Herren in weiss, und ich frage mich, ob sie's schaffen werden, ihr Kleid so weiss zu behalten im Lauf des Tages. Nicht ganz neidfrei ahne ich, dass es ihnen gelingen mag.
Zum weissen Kittel, der im Oman übrigens Dishdasha heisst, tragen sie Sandalen. Und um den Kopf haben sie ein Tuch auf eine bestimmte Art und Weise geschlungen. Alles in einem Omani-Stil, anders als z.B. die indischen Turbane. Ob sie da womöglich einen Hut drunter tragen, um den Kopfputz so schön in Form zu bringen ...? Alles Geheimnisse, die ich im Lauf der nächsten 10 Tage hoffentlich noch lüften werde. Also nicht ich persönlich will es "lüften", das Kopftuch-Geheimnis bei den Omanern. Sondern ich werde bei Gelegenheit die Reiseleiterin fragen.
Und mehr Infos brauche ich auch über den Sultan, der dem Land - mit Hilfe von im Auslandsstudium erworbenem Wissen sowie dank Erdölvorkommen im Oman - den Wohlstand gebracht hat. Er war nur drei Monate verheiratet. Ohne Nachkommen. Und auf Weltreise ging er damals wohl mit einem Engländer ... der Sultan scheint ein ungewöhnlicher Herrscher im Weihrauchland zu sein.
Es ist wunderbar warm hier, ohne drückend oder schwül zu sein. Ich schätze knapp 30 Grad tagsüber. Wir haben draussen zu Abend gegessen.
Die Gerüche des Tages:
Fischgeruch, der zu Gestank wird: Zum Glück ist der alte Fischmarkt von Mutrah überdacht, aber seitlich offen. Sonst hätte ich es nicht lange ausgehalten, durch die Verkaufs-Reihen zu gehen und dem munteren (oder müden) Treiben der Fischhändler zuzuschauen bzw. deren Ware zu riechen. Mein Blick fällt immer wieder auf die riesigen Thunfische, die hier in voller Pracht, wenn auch tot, liegen, während in den Gängen nebenan die Steaks herausgeschlagen werden ...
Duft von frischem Obst und Gemüse: Welch eine Wohltat anschliessend, im Obst- und Gemüsemarkt geht's ruhig zu, gemächlich, nicht viel los. Und gekühlt ist das geschlossene Gebäude auch noch. Es riecht angenehm - nach frischem Gemüse mehr als nach Obst. Ich kaufe Mini-Bananen und Limonen bei einem alten Männchen mit Dishdasha. Beim Handeln kommen wir uns näher, und ich darf ein Foto mit ihm machen. Dummerweise delegiere ich diese Aufgabe an seinen Geschäfskollegen, weil ich gerne mit aufs Foto will. Und der Gemüsehändler-Fotograf verwackelt dann das Foto von meinem neuen Freund und mir. Zumindest bin ich nach dieser kleinen Episode so gut drauf (und ist es im Markt so leer), dass ein anderer Dishdasha-Mann mir von seinen getrockneten Sardellen als Zwischen-Snack anbietet. Was ich nicht nur energisch, sondern auch laut lachend ablehne. Wir haben Spass im Gemüsemarkt.
Die Meeresbrise riechen: Wir verlassen die Märkte, biegen links ab und spazieren auf die Corniche, die Uferpromenade von Mutrah. Mutrah ist die Nachbarstadt von Maskat - lebhaft dank all seiner Märkte, und das vor allem im Gegensatz zum eher toten historischen Zentrum der Hauptstadt Maskat, wo wir ja gestern waren. Nicht nur Leben hat Mutrah, sondern auch diese wunderschöne Corniche mit Blick auf die Bucht, wo Yachten und Frachter vor Anker liegen, riesige Kreuzfahrtschiffe und alte Segelboote aus Holz, die Dhaus.
Teppichmief, leicht und meerig: Nach dem Mittagessen geht's weiter zum Yachthafen, wo wir in eine wunderschöne Dhau klettern. Der Kapitän schwört Stein und Bein, dass in diesem Holzschiff kein einziger Nagel steckt, denn Dhaus enthalten kein Metall. Auf der Dhau prunkt im offenen Erdgeschoss eine "Lounge", ein erhöhter viereckiger Kasten, der mit Teppichen und Kissen ausgestattet ist, und auf dem ich mich unverzüglich niederlasse. Ist das nicht herrlich, gemütlich liegend mit einem Baldachin-Sonnenschutz über sich, die omanische Küste entlangzuschippern? Eine leichte Brise geht, so dass man nicht allzusehr schwitzt. Und neben Erfrischungsgetränken werden Datteln gereicht. Seit heute esse ich Datteln.
Kaffee, der nach Rosenwasser riecht: Und dann reicht der Käpt'n den Abschlusskaffee - Kaffee mit Safran und Rosenwasser. Safran schmecke und rieche ich nicht. Wohl aber das Rosenwasser ... gewöhnungsbedürftig von mir aus. Keine Gefahr für George.
Weihrauchgeruch allüberall: Wie schön, dass wir erst am Nachmittag in den Mutrah-Souq, den grössten Basar Omans, gehen. Denn jetzt ist er fast leer (die Kreuzfahrtschiff-Touris sind längst wieder auf See). Einige Stände machen jetzt erst wieder auf nach der Mittagspause. Und es riecht nach Weihrauch. Alle paar Meter wird Weihrauch verbrannt. Geruch wie in einer katholischen Kirche nach der Messe. Wo die Weihrauch-Duftwolke im Souq nur leicht ist, geht es. Doch wenn richtig geräuchert wird, find ich's anstrengend. Allerdings hält mich der Weihrauchgeruch nicht davon ab, satte vier Schals im Souq zu erstehen, zwei davon aus ungewöhnlichen Stoffen: einmal hab ich zu Bananenstaude gegriffen (leicht, luftig, sommerlich), einmal zu Original-Kamelhaar aus dem Oman (zumindest will ich das dem indischen Verkäufer glauben). Alle Schals geruchsneutral, aber sehr zart auf der Haut.
Und dann noch eine Geschichte ohne Geruch: Von einer, die loszog, aus dem Labyrinth zu entkommen ...
Selbstverständlich habe ich mich im Souq verlaufen. Der Souq ist ein Labyrinth, keine Schilder. Ich frage eine junge, schwarz gewandete, aber gesichtunverschleiert sehr schöne Frau, wo der Souq-Eingang sei. Kurz darauf setzt sich eine Karawane aus vier Frauen in Bewegung:
Nummer 1 ist etwa fünf Jahre jung, Mädel mit Rock, ohne Schleier und hüpft vorneweg. Nummer 2 mag zehn Jahre alt sein, ebenfalls bunt und mit Rock gekleidet, sie trägt ein Kopftuch und folgt der kleinen Schwester. Nummer 3, die bildschöne, etwa zwanzigjährige junge Frau in schwarz und verschleiert ausser dem Gesicht. Sie will mir eigentlich den Weg zurück ans Licht der Uferpromenade zeigen. Schlusslicht ist Nummer 4, Touristin mit Outdoor-Hose, Karo-Hemd mit langen Ärmeln, unverschleiert, aber verschwitzt, die Locken vom Dhau-Ausflug zerzaust, in der Hand eine Tüte mit diversen Schals, die der Grund für ihre Orientierungslosigkeit sind.
Nach fünf Minuten merkt die Touristin, dass der von den drei Anführerinnen vorgegebene Weg ganz sicher nicht der Weg zurück zum Souq-Eingang ist. Die Gänge des Souqs werden enger, es gibt jetzt Seitengänge ganz ohne Geschäfte, die scheinbar im leeren Schubkarren enden. Ab und an fragt die verschleierte Schöne auf Arabisch Menschen, die ihr im Souq begegnen. Ich kann nur ahnen, dass sie sie nach dem Weg fragt. Jedenfalls hoffe ich das. Schweigend aber unbeirrt zieht die Karawane weiter durch den Souq. Mittlerweile sind wir im Schmuck-Souq angekommen. Grosse Geschäfte um uns rum. Überall glänzt es. Ich nehme das Gold aber nur aus den Augenwinkeln wahr. Folge meinen ortsunkundigen Anführerinnen ... irgendwann müssen wir ja mal irgendwo rauskommen aus diesem Souq. Und tatsächlich, Licht am Ende des Gangs - wir haben den Eingang gefunden, die Corniche erreicht!
So bedanke ich mich herzlich bei den drei Frauen. Und grinse, weil ich dann doch rausgefunden habe, warum die Mädels ohne zu zögern losgezogen und mit mir durch den Souq geirrt sind: Sie wollten eigentlich zum Meer, die drei Mädels. Durften aber nicht. Allein, da bot sich doch eine gute Gelegenheit, diesem Verbot der Eltern zu entgehen und der herumstreunenden Touristin einen Dienst zu erweisen ...
Der uns bereits bekannte und sympathische Sultan hat eine Moschee erbauen lassen. Die grösste und sehenswerteste Moschee seines Landes, ja fast der ganzen Welt wurde sie - bis da eine Moschee in Abu Dhabi in einigen Dingen noch grösser wurde.
Doch bleiben wir beim Sultan des Oman, der nun endlich seinen Namen erhalten soll: Sultan Qaboos bin Said bin Taimur al-Said regiert den Oman seit 1970 und hat sein Land gründlich voran gebracht (dazu ein andermal mehr). Im Jahr 2001 wurde seine Moschee, die "Sultan Qaboos Grand Mosque", fertiggestellt und von ihm persönlich eröffnet. Sie ist: riesig, aus edelsten Materialien und birgt Schätze, wie man das von einer Sultansmoschee im Oman erwarten darf.
So wurde der Kristallleuchter der österreichischen Dynastie Swarowski in Bayern gebaut und war der grösste der Welt - bis die Abu-Dhabi-Moschee errichtet wurde. Es wäre bestimmt eine spannende Geschichte zu erfahren, wie der Leuchter mit acht Metern Durchmesser ins Sultanat gebracht wurde.
Und dann der riesige, edle Teppich, der an einem Stück (70 x 60 Meter) im Iran geknüpft wurde und an dem vier Jahre gearbeitet wurde. Ein persisches Meisterwerk aus feinstem Material.
Doch auch ausserhalb der Moschee gibt es einiges zu bestaunen. So fällt auf, welche Metamorphose weibliche, nichtmuslimische Touristinnen durchlaufen. Herrscht doch auf dem Moschee-Areal strikte Kopftuch-Pflicht. Dazu sind lange Ärmel ein Muss, und die Hosen oder Röcke müssen lang sein. Wehe, ein langer Rock hat einen Schlitz und man sieht etwas vom Bein - der Moschee-Steher versteht keinen Spass und kontrolliert streng die Touristinnen.
Und bei den unterschiedlichen Farben und Materialien der Tücher, die bei uns Frauen nun gezückt und um den Kopf drapiert werden, fällt auf, dass es Frauen gibt, denen das Tuch wirklich gut steht. Spannend ist, dass sich so, ohne sichtbares Haar, eine jede Frau verändert - nicht jede zu ihrem Vorteil oder dass sie sich damit wohlfühlt, aber es hilft uns nix: Das Kopftuch muss oben bleiben.
Dafür ist es ein befreiendes Gefühl, das Moscheegelände zu verlassen und die Haare wieder frei um den Kopf zu spüren. Muslimen gegenüber fühlt man sich dafür im allerersten Moment, genau im Augenblick des Kopftuchabziehens, fast nackt. Um den Kopf rum jedenfalls. Es hat mir gut getan, mal die Seite zu wechseln von der Christin zur Kurzzeit-Muslimin und gerne wieder zurück.
Was ist ein Wadi? Wikipedia sagt, das sei arabisch und bezeichne einen ausgetrockneten Flusslauf in einem Trockental in Wüstengebieten. Wadis führten nur nach starken Regenfällen vorübergehend Wasser. Bei Wadis mit einem grossen Einzugsgebiet könne auch ein viele Kilometer entferntes Gewitter zu einem überraschenden und schlagartigen Wasseranstieg führen.
Das klingt gefährlich und kann es durchaus auch sein. Wir fahren durch Gebiet, wo es vor einiger Zeit teilweise heftig geregnet hat, deshalb sehen wir auch ungewöhnlich viel Wasser. Menschen sind umgekommen in den Wadis.
Doch uns geht's gut! Heute sind wir im Jeep unterwegs, genauer gesagt in sechs weissen Toyota-Geländewagen. Im ersten Toyota sitzt Ibrahim, der Chef unserer örtlichen Agentur aus Maskat, er ist Inder aus Kerala. Die übrigen fünf Autos steuern Omaner - in sehr schönen Dishdashas.
Wir fahren erst ein Stück auf der Autobahn gen Süden. Und dann geht's ab ins Gelände. Absolut stark. Wir fahren über geröllige Wege, sehen Berge und Steine in fast allen Farben, die die Erosion zu bieten hat. Wir durchqueren eben jene Wadis, die ich eigentlich nur an den Flüsschen und Palmen erkenne. Wir machen viele Fotostopps und entdecken die Fahrer als grossartiges Fotomotiv.
Zur Mittagszeit dann meine wundersame Begegnung mit drei (eigentlich vier) Herren an einer Grotte. Wir halten in der Nähe der Grotte unser Picknick ab. In der sengenden Hitze stapfe ich die Treppen runter zur Grotte und sehe schon von weitem, wie der Mitreisende Bernd sich mit den Männern im Dishdasha unterhält. Sie machen Fotos mit ihm, wir machen Fotos von ihnen, ich möchte ein gemeinsames Foto, sie knipsen mich mit. Es sind Omaner mit afrikanischen Wurzeln. Sie freuen sich genauso über die Begegnung wie wir.
Die Landschaft an diesem Tag ist so abwechslungsreich, so kraftvoll schön, das Meer am späten Nachmittag so klar, die Sonne so heiss, dass wir am Abend trotz der komfortablen Fahrt kaputt in Sur ankommen und uns verwundert das Salz von der Haut wischen.
Und morgen dann. Morgen. Morgen geht's ab in die Wüste: Eine Übernachtung im Wüstencamp. Wie ich mich auf meine Begegnung mit der Wüste freue!
Sandwüste Ramlat Al Wahiba oder auch Wahiba Sands. Nacht in einem luxuriösen Wüstencamp. Ich bin berauscht, dankbar und glücklich. Wie einen solchen Tag festhalten? So viel gesehen. Der Wüste begegnet. Zum ersten Mal.
Die Farben des Tages:
BLAU
Blau wie der prachtvolle Himmel über Sur. Blau wie die malerische Lagune der geschichtsträchtigen Hafen- und Seefahrerstadt. Blau wie die leuchtenden Verzierungen auf der Fatah Al Kair, dem Holzschiff (Dhau), das im Open-Air-Dhau-Museum ausgestellt ist. Blau wie die Kuppel des Leuchtturms von Sur.
GRÜN
Grün, dunkelgrün, smaragdgrün wie das Wasser in den Pools der Wadi Bani Khalid. Grün wie die Palmen dort und in der Oase ganz in der Nähe.
DIE FARBE DER WÜSTE
Plötzlich ist sie da, die Wüste. Wüste, soweit das Auge reicht vor und neben uns. Links die ganz hohe Düne. Die Farbe am Nachmittag ist warm, intensiv. Eine Mischung zwischen braun, rot und gelb. Sand, weicher Sand. Einzelne Kamele vor der Düne.
Das Camp ist toll, Luxuszelte inmitten der Wüste. Ich geniesse es. In einem Jeep werden wir auf die grosse Düne gefahren. Ich jauchze. Diese Dünen, diese Wellen, Wüstenberge, der Sand, der Wind, die Sonne am frühen Abend. Der Omaner im Dishdasha dort auf der Düne im Schneidersitz. Die Sonne anbetend. Von der Sonne angestrahlt.
Wir stehen oder sitzen auf unserer Düne, und die Wellen gehen weiter. Runter und hoch, runter und hoch. Ein ungleichmässiges, natürlich schönes Muster.
Der Wind bläst von hinten. Der feine Sand schadet den empfindlichen Linsen der Kameras. Der Sand bleibt auf unseren verschwitzten Gesichtern kleben. Auf der Haut. Auf den Lippen. Sandkörner und Salz im Mund. Ein Tuch macht viel Sinn - ich nehme es aus den Haaren und binde es um den Kopf und vor den Mund. So wie die Berber es tragen, die Männer der Wüste, in den Karawanen. Gesicht und Körper total verhüllt, damit so wenig Sand wie möglich eindringt. Ich denke an den "Englischen Patienten". Der Film zelebriert die Wüste in schönsten Bildern. Und gleichzeitig ist die Wüste der Ort für viel Leid und Schmerz, Qual und Tod. Ich würde gerne einmal eine Karawane sehen. Heute und hier nicht, aber Karawanen faszinieren mich. Vielleicht nur jetzt, weil ich gerade in der Wüste bin und an den Film denke.
Die Sonne geht unter über der Wüste. Schlicht und einfach verschwindet sie. Heute nicht in rot, wohl wegen zu viel Sand in der Luft, meint später der Camp-Chef. Wir gehen die Düne runter, sinken ein im warmen Sand oder wundern uns über die festen, harten Sandverwehungen dazwischen. Ich stapfe barfuss. Meine Füsse, zunächst verwundert, sind nun sehr zufrieden. Zurück im Camp brause ich mir den Sand aus vielen Poren und hoffe, dass das warme-weiche Gefühl der Wüste noch lange spürbar bleibt.
Im Camp-Shop habe ich mir einen Schal gekauft. Es gab nur einen einzigen dort. Die Nachmittagssonne fiel auf ihn durch das Fenster. Er strahlte mich sand-gold-ockerfarben an, und ich hab nur einen Gedanken gehabt: Das ist die Farbe der Wüste!
Marianne teilt mit uns ein Gedicht des Sufi-Dichters Omar Khayyan aus dem 11. Jahrhundert:
Zügle deine Wünsche nach den Dingen dieser Welt
und lebe zufrieden.
Sage dich los von den Fesseln
des Guten und Bösen hier auf Erden,
nimm den Pokal und spiele
mit den Locken der Geliebten,
denn schnell vergeht alles ...
und wie viele Tage bleiben uns noch?
Lass die Traurigkeit dich nicht auslöschen
und eitle Sorgen deine Tage beschweren,
vernachlässige nicht die Heilige Schrift,
die Lippen der Geliebten und die duftenden Gärten,
bevor die Erde dich in ihren Schoß aufnimmt.
Wie schade, die Wüste schon zu verlassen. Gerne wäre ich auf einem Kamel geritten. Ein Berber ist mit einer Inderin auf seinem Kamel heute Morgen gemächlich in die Wüste marschiert. Die Kameltour dauert 90 Minuten.
Über eine wunderschöne Festung, die auch "Palast von Jabrin" genannt wird und zu den schönsten und interessantesten Gebäuden Omans gehört, geht es weiter nach Bahla.
Die Burg von Bahla ist ein UNESCO Weltkulturerbe und stellt das grösste Lehmfort Omans dar. Da es seit langem renoviert wird, kann es von innen nur an besonderen Tagen besichtigt werden. Heute nicht. Doch auch von aussen sieht es sehr schmuck aus. Und wir haben ja bereits den Palast von innen besichtigt.
Somit also direkt weiter zu unserem nächsten Stützpunkt. Ein langer und heisser Fahrtag endet in Nizwa.
Der Oman überrascht und fasziniert mich jeden Tag.
Die Oasenstadt Nizwa ist ein Wohlfühlort. Mit einem malerischen Souq, einem berühmten Fort mit imposantem Wehrturm und der leuchtenden Kuppel und dem Minarett der Moschee von Nizwa. Die übrigens den Namen von Sultan Qaboos trägt. Nicht ganz ungewöhnlich.
Wir marschieren durchs Stadttor, touchieren den Souq und gehen hoch zur Festung. Doch, oh weh, wir dürfen das Fort nicht betreten. Erst jetzt fällt mir das starke Polizeiaufgebot auf, das sich seit unserem Eintrudeln minütlich verstärkt hat. Polizisten, Soldaten, gepanzerte Autos, Absprerrungen. Männer in Dishdashas, die ein Tuch umgebunden haben, in dem ein Dolch steckt. Sehr interessant - es ist der Krummdolch. Es bleibt ruhig und unaufgeregt, aber irgendetwas ist im Gange.
Im Fort geben sie nicht preis, wer zu Besuch erwartet wird. Mir ist natürlich sofort klar: Es kann nur eine Person geben, die solch starke Sicherheitsmassnahmen erfordert - das muss der Sultan sein! Und wie freue ich mich drauf, ihn bestimmt bald hier zu sehen. Ich liege fast, aber halt nur fast richtig, wie wir von einem omanischen Silberverkäufer erfahren - es sei der Sultan von Neuseeland, der gerade das Fort besuche ...!
Nun denn, mir ist's sehr Recht, die Päsenz des Premiers aus Neuseeland gewährt uns ungewohnte Freizeit, die sinnvollerweise für Shopping genutzt werden kann. So erstehe ich im Souq bei einem Bayern-München-Fan-Gewürzhändler Safran. Und gehe direkt zum Schmuck über - im Ort, der berühmt ist für sein Silberhandwerk, werde ich etwas Kleines aus Silber erstehen ... etwas fürs Ohrläppchen.
Leider muss der Kaufrausch enden, kaum dass er angefangen hat, denn der neuseeländische Sultan scheint die Stätte verlassen zu haben. Die Luft ist heiss, aber rein, und wir dürfen die Festung erklimmen. Unser Ziel ist der Wehrtum mit 45 Metern Durchmesser und 35 Metern Höhe. Es ergeben sich 360-Grad-Fotomotive. Lediglich die Aussentemperatur von mittlerweile an die 40 Grad lässt dann selbst das Fotografieren anstrengend werden.
Es geht weiter in die Berge nach Al Hamra, eine weitere Oasenstadt, wo wir unser Mittagspicknick einnehmen. Dieses Mal drinnen - in einem Haus, wo noch immer ganz traditionell am offenen Feuer Brot gebacken wird. Das Brot ist hauchdünn, dünner als ein Crèpe und schmeckt sehr lecker, krümelt aber sehr. Das Haus dient als Museum, und wir nehmen auf Kissen sitzend unser Mahl ein. Wobei ich mir - ob bewusst oder intuitiv sei dahingestellt - den besten Platz ausgesucht habe, denn unsere Fahrer sitzen mir zwar im Nebenraum aber direkt gegenüber, und sie sehen heute wieder schmuck aus in ihren Dishdashas und mit den Kappen (Kummas) und Turbantüchern auf dem Kopf.
Es geht weiter ins Gebirge. Erst einen Pass hoch, dann rechts ab auf die unbefestigte Strasse, rauf zum Plateau. Hier darf der Allradantrieb seine Kraft beweisen. Schon cool. Der Staub wirbelt. Ich find's so schön, die vier Geländewagen vor uns zu sehen. Und hinter uns kommt noch Nummer sechs. Unsere kleine Karawane.
Auf 2000 Metern Höhe angekommen, bietet sich uns ein gigantischer Ausblick. Ich mag Vergleiche nicht, aber dieser hier erklärt alles: Wir stehen gegenüber des höchsten Bergs im Oman mit Namen Jebel Shams (3006 Meter). Und vor uns liegt der Grand Canyon Omans.
Vorne fährt Ibrahim mit Toyota 1 zügig voran und zieht eine Staubwolke hinter sich her. Nr. 2 folgt in ordentlichem Abstand auf dem flachen Pistenteil. Derweil hängt Mustafa im Toyota 3 an einem 45 Grad Gefälle und testet das Bremssystem. Nr. 4 vor uns wartet, um dann ebenfalls das Steilstück abwärts in Angriff zu nehmen. Und wir mit Abdullah in Nr. 5 nutzen die Zeit für Offroad-Fotos. Nr. 6 hinter uns wird es ähnlich ergehen.
Heute sind wir auf der Piste, und zwar richtig. Und lange. Unsere Toyota-Karawane zieht von Nizwa durch schroffe Bergwelt in den Norden nach Maskat zurück. Keine Spazierfahrt! Wer's heut am Magen oder Rücken hat, für den ist das kein Spass. Für mich ist's toll, auch wenn ich nicht wirklich gerne am Abhang runter gucke. Lieber hoch ins schroffe Felsmassiv und voraus auf die andern Autos. Wir sind wohl im Wadi Bani Auf. Irgendwann. Irgendwo.
Alle paar Kilometer gibt's ein neues, omanisches Schauspiel. Hier zwei Männer, die friedlich auf dem Zisternenbrunnen hocken und über die Dattelernte oder den Sultan reden. Dort eine ganze Delegation von Offiziellen, die einen Fussballplatz im Gelände besuchen. Der halbe Platz ist mit ihren Jeeps vollgestellt. Dann kommt wieder ein entzückendes Wadi mit einer Siedlung, Palmenhainen und Terrassenfeldern. Zum Picknick dann eine malerische Schlucht mit tiefgrünem Wasser. Wir speisen Humus, Quark, Käse und Auberginen zum Fladenbrot im Schatten der Palmen und sind dankbar für den leichten Wind, der dort geht.
Es naht der erste Abschied. Wehmut hat mich schon den ganzen Tag befallen. Ich geniesse diese Reise so sehr, und sie geht bereits dem Ende entgegen. Mit Christine und Fritz im Nr. 5 Toyota und Abdullah am Steuer ist es völlig entspannt. Bei Abdullah bewundern wir heute seinen Turban, auch wenn er das Tuch oft wieder abwickelt und nur den Hut auflässt, weil's mit dem Turbantuch noch heisser ist.
Reiseleiterin Marianne verabschiedet die Fahrer offiziell. Es werden Fotos gemacht. Ich mitten dabei, und so kommt es, dass die Fahrer ein Foto von Abdullah und mir machen wollen - was ja originell aussieht ... und auch auf den Smartphones der Jungs festgehalten wird. ich freue mich festzustellen, dass auch Omaner, die kaum Englisch sprechen, mit der Zeit lockerer werden. Die Männer waren tolle Fahrer und die wahren Botschafter Omans, wie Marianne sehr richtig gesagt hat.
Letzte Etappe auf der Autobahn nach Maskat zum Flughafen. Auf Wiedersehen, liebe omanische Botschafter Ich wäre gerne noch weiter im Geländewagen gefahren. Aber die Reiseleiterin überzeugt mich, dass die Strecke von 1000 Kilometern bis runter ins Weihrauchland Dhofar doch im Flieger mehr Sinn macht. Also gut.
Zeit für einen herrlichen Cappuccino (ohne Rosenwasser!) im Flughafen. Ich werde schwach und erstehe in einer Kurzschluss-Panikaktion den Duft Omans "Amouage", Duftnote Reflection. Und ich wundere mich über die vielen teilweise komplett verschleierten Frauen, die mit uns nach Salalah fliegen. Auf der Treppe zum Flieger geht vor mir eine Omanerin mit High Heels unter dem schwarzen Gewand, dazu guckt die enge Röhenjeans raus. Schmuck und auffallende Taschen tragen sie alle. Sehr hübsche Frauen haben wir gesehen hier im Oman, jedenfalls einige sehr schöne unverschleierte Gesichter.
Ankunft spät am Abend im tropischen Salalah in einem wunderschönen Strandhotel mit Abendessen am Strand und der Aussicht auf Ausschlafen morgen!
Liegestuhl mit Blick auf Strand und Indischen Ozean.
Kokosnussmilch mit Strohhalm aus der frisch aufgeschlagenen Kokosnuss bei der Obstplantage.
Schweissperlen trotz Bewegung in Zeitlupe und Verweilen nur im Schatten.
Kamele mitten auf und rund um die befahrene Strasse zum Hiobsgrab.
Muezzins Gebet vom Minarett der Moschee.
Weihrauch in allen Variationen im Weihrauch-Souq von Salalah.
Nein, im Gegensatz zu vielen anderen Orten im Oman riecht es hier im Wadi Doka erst mal nicht nach Weihrauch. Die Gegend ist steinig, karg. Die knorrigen Bäume stehen in grossem Abstand voneinander. Eher unauffällig. Und genau hier entsteht das kostbare Material, eines, das die heiligen drei Könige als Gabe mitgebracht haben, das der Region den Beinamen "Arabia Felix", glückliches Arabien, gebracht hat: der Weihrauch.
Wer weiss schon, dass es eine weisse, milchige Flüssigkeit ist, die sich beim Einkerben der Rinde am Weihrauchbaum bildet und deren Bedeutung durch das Trocknen am Baum entsteht? Weihrauch ist getrockneter Harz. Er verlieh dem Oman, genauer gesagt, der Weihrauchregion Dhofar grossen Reichtum. Oman war Ausgangspunkt der antiken Weihrauchstrasse. Und noch immer ist das Sultanat DAS Weihrauchland.
Als der Wind dann die eingekerbte Rinde des Weihrauchbaums streift, verbreitet er sich sanft und angenehm über der kargen Landschaft, der Weihrauchduft. Duft des Oman.
Wir sind endlich und leider zum letzten Mal wieder im Geländewagen unterwegs. So geht es von den Weihrauchbäumen über normale Strassen mit für uns Europäer immer noch aussergwöhnlicher Aussicht auf Kamele rechts und Kamele links der Strasse ins Wadi Darbat, das mich an afrikanische Steppe erinnert. Kleine und grosse Kamelherden diesseits und jenseits des Wassers. Kühe und Esel spazieren vorbei, während wir entspannt unter einem herrlichen Baum unser letztes Picknick geniessen. Heute mit der Besonderheit von Kamelfleisch und Kamelmilch für die ganz Mutigen.
Der Tag und auch die Reise endet mit der Besichtigung der Ausgrabungsstätte von Samhuram, antike Handelskolonie mit Weihrauchhafen. Es sind nur noch Mauerreste zu sehen, diese allerdings malerisch vor der Kulisse der Lagune, wo vor vielen Jahrhunderten die Weihrauchschiffe anlegten.
Es ist zu heiss, um sich vor Ort mit der Geschichte zu befassen. Vielleicht ist es auch nur die hohe Luftfeuchtigkeit. In der Sonne ist's kaum auszuhalten, jeder noch so winzige, quadratzentimetergrosse Schatten wird gesucht. Wir klemmen uns in Nischen und pressen uns an Felswände, um nicht in der Sonne zu stehen. Nebenbei beobachten wir zwei komplett verschleierte Frauen, die da in der Nachmittagsglut im schwarzen Gewand unterwegs sind. Zügig marschieren sie durch die antike Stätte. Eine Frau trägt flache Sandalen. Eine ist mit Pfennigabsätzen im Gelände unterwegs. Ich staune wieder einmal und würde zu gerne mit ihnen sprechen, um mehr über sie zu erfahren, über die verschleierten, modebewussten und sicherlich sehr schönen Frauen des Oman.
Abschied beim Dinner im Strand-Restaurant mit letztem Blick auf den Indischen Ozean. Ich gehe durch die Hotel-Lobby zurück und sehe an der Rezeption wie immer Männer mit Dishdashas. Und ich weiss jetzt schon, dass ich sie vermissen werde, die weissen Gewänder mit der Bommel dran. Die Männer mit dem bestickten Hut, dem Turban oder mit Turban über der Kumma. Lebt wohl, Ihr Männer mit den weissen Kitteln.
Lieber Sultan, Ihre Majestät
Bitte verzeihen Sie, dass ich mir erlaube, Ihnen einfach zu schreiben. Es soll Ausdruck einer grossen Freude und tiefen Dankbarkeit sein, dass ich Ihr wundersames Land kennenlernen und in mir aufnehmen durfte.
Es steht über Sie geschrieben, dass Sie Ihr Land klug und vorausschauend - obgleich absolutistisch - regieren. Das Erdöl hat Ihnen geholfen, den Oman zu Wohlstand zu bringen - auch andere Länder besitzen Erdöl, aber sie nutzen es für Wolkenkratzer und Skihallen in der Wüste. Darf ich als einfache Touristin sagen, wie gut es Ihrem Land augenscheinlich tut, dass Sie eine andere Auffassung von Modernierung haben?
In Ihrem Land werden Traditionen gewahrt und die Natur mit Respekt behandelt. Und das macht den Oman so reizvoll. Den Untertanen geht es gut, sie geniessen Gesundheit, Bildung und Wohlstand. Der Islam als Staatsreligion wirkt natürlich und nicht angsteinflössend auf eine unwissende Europäerin. Obschon die verschleierten Frauen mich irritieren, aber das betrifft den Islam und nicht das Sultanat.
Ich möchte nicht zurückfliegen, ohne Ihnen weiterhin eine gute Gesundheit und ein glückliches Regieren zu wünschen. Wie man hört, wird einer Ihrer Neffen Ihr Nachfolger werden. Ich gehe davon aus, dass Sie ihn unterrichten und in die Staatsführung einweisen, auf dass er das Land dereinst in Ihrem Sinne weiter regieren und zum Wohl der Untertanen voranbringen möge.
Mai alslama
Ihre
Bettina, glückliche Oman-Touristin im April 2013
Sultan Qaboos wurde 1940 geboren und regiert den Oman seit 1970.
Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.
Ihre gertenschlanken, langen Beine stecken in einer Röhrenjeans, die ihre Fesseln zeigen. Sie trägt ultahohe, silberne Pumps mit Pfennigabsatz. Ihren Oberkörper verhüllt ein Mantel, nur die langen Haare sind sichtbar. Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt. Sie geht eng eingehängt bei einer Frau, vielleicht ihre Mutter. Mir fällt die junge Frau auf wegen der halsbrecherischen Schuhe. Und weil alle sie anglotzen.
Samstagnachmittag in der Edel-Einkaufsstrasse von Mailand - Via Napoleone. Eng an eng schlängeln sich die Massen durch die schmale Gasse, in der links und rechts die Guccis, Pradas, Diors einen Shop anzubieten haben.
Da stellt sich ein junger Typ flugs neben sie, und zwar so, dass sein Kopf ganz nah bei ihrem ist. iPhone vor die Gesichter gehalten und Click, endlich mal wieder ein Selfie. Diesem Paparazzi muss man lassen, dass er die Röhrenjeans-Dame gefragt hat. Nun öffnen sich alle Schleusen. Eine Welle erfasst die Via Napoleone. Etwa ein Selfie pro Meter wird gemacht. Rücksichtslos. Die Selfie-Gemeinde - ich denke, es sind alles Männer - rennt zu ihr, hält Schritt und: Click. Werk erledigt! Sie versucht, unbehelligt weiterzukommen. Ihr ZIel ist erreicht, als sie durch ein grosses Tor schlüpft und weiterzieht. Davor steht eine ganze Fotografenmeute - scheinbar haben sie auf sie gewartet. Wenigstens keine Selfies mehr. Die Frau tut mir leid. Will man so berühmt sein?
Da ich keinen Plan habe, wer das wohl war, frage ich zwei italienische Passantinnen. Sie sagen mir den Namen, der mir null sagt. Ich frage: "Musica?", Antwort: "No!" "Actrice?" - "No!". Die Frauen merken, dass mein italienischer Wortschatz zur Neige geht und sagen lakonsch "niente". Beide Frauen lachen, und eine bewegt den Hintern von links nach rechts: "Niente."
Aha - das hab ich verstanden. Dann hoffen wir mal, dass es das wert ist!
Wer davon ausgeht, dass es in der Scala - wie auch im Zürcher Opernhaus - eine eingeblendete Übersetzung gibt ... wer deshalb extra nicht vorher liest, was in Aida passiert ... der, nun ja, der darf nicht jammern, wenn er
Mühe hat, auch nur zu kapieren, welche der beiden Frauen Aida ist und worum es genau geht. So war der erste Akt also vor allem den
Sängern und dem Orchester gewidmet. Am Dirigentenpult der weltberühmte Zubin Mehta. Erste
Gänsehaut, als er hereinkommt und seinen Charakterkopf uns, dem Publikum zuwendet.
Wir, das sind drei ältere italienische Opernliebhaber oben im dritten Rang und in Loge 14. Sowie ein junges Mädchen, das zu Ihnen gehört. Und eben ich auf einer Art Barhocker im hinteren Teil der Loge - aber mit guter Sicht! Mit mir wahrscheinlich 1500 Besucher der Sonntagsvormittagsvorstellung.
Ab dem zweiten Akt bin ich im Besitz eines Programmhefts "very much in Italian, only the synopsis is in English". Na also, das reicht. Ich verstehe nun, was passiert ist und noch passieren wird. Die Oper gefällt. Ein tolles Bühnenbild mit viel Licht und Schatten. Die Aida kann, so denke ich, alle an die Wand singen - meiomei hat Kristin Lewis eine Stimme. Naja, und der allseits geliebte Feldherr, Ramses, der ist leider brutal dick, was mir mehr auffällt als sein Singen. Glaube, dass er bei diesem Leibesumfang alles drauf konzentrieren muss, sich wenig zu bewegen und halt nur zu singen. Wer das schauspielerische Tenorstalent eines Jonas Kaufmann kennt und schätzt, mag hier leicht enttäuscht werden. Aber gut, singen kann er.
Wie muss das für ein Orchester sein, von Zubin Mehta dirigiert zu werden? Noch was Besonderes oder schon Gewohnheit? Hat man in Mailand immer Star-Dirigenten? Der Mann wurde 1936 in Bombay geboren. Wird somit dieses Jahr bereits 79. Und steht immer noch am Dirigentenpult. In dem Job lässt man sich wohl nicht pensionieren. Man lebt für die Musik, wahrscheinlich im tiefsten Sinn des Wortes. Und irgendwann stirbt man, trotz der Musik. Hoffentlich geht es Herrn Mehta noch lange gut!
Der Vorhang geht hoch, und wir befinden uns in Theben. Eine Tribüne ist aufgebaut, auf der der König sitzt mit seiner Tochter. Aida ist auch dabei. Und da erklingt die Fanfare! Mensch, das kenn ich doch! Das ist aus Aida? Natürlich! Der Triumphmarsch. Mei, ist das schön. Gänsehaut nochmals und mehrmals. Welch grandiose Musik. Und immer wieder die Trompeten. Was für ein Glückssgefühl!
Ich ertappe mich dabei, wie ich mir die hohen Priester rund um Ramses und Aida näher angucke und abschweife. Irgendwie erinnern die mich an etwas ... mit ihren weissen langen, weiten Mänteln. Eine Art Kettenkragen. Und auf dem Kopf kein Hut, keine Mütze. Eine Art Helm? Aber in solch komischer Form - oder soll ich sagen konischer Form? Ein wenig wie ein Fahrradhelm vielleicht? Am Hinterkopf auslaufend ... was ist das - die Klingonen! Sie sehen aus wie die Klingonen aus Star Trek. Und ich drifte kurz ab in die unendlichen Weiten von Raumschiff Enterprise. Sicherlich eine Hommage an den in dieser Woche gestorbenen Leonard Nemoy.
Es endet, wie's immer endet bei Opern. Mit mindestens einem Toten. Hier sind's heute zwei. Ramses wird bei lebendigem Leib eingemauert, weil er unfreiwillig sein Land verraten hat. Warum? Ja, genau, wegen Aida natürlich, die ihn auf Befehl ihres Vaters ausgetrickst hat. Spontane Entscheidung. Leider haben Zeugen zugehört. Und Aida bereut es ja auch zutiefst. Denn nu is Ramses im Verlies und muss sterben. Und was macht sie? Sie gelangt irgendwie zu ihm da runter, lässt sich mit ihm einmauern. Und stirbt in seinen Armen.
Sie trifft mich unvorbereitet. Sie ist nur eine Notlösung - die Lagunenstadt an der Adria. Um eine lange Bahnfahrt zurück nach Zürich zu vermeiden und vom Gardasee aus zu einem Flughafen zu gelangen. Die Stadt der Verliebten, singende Gondoliere hinter umschlungenen Pärchen, Romantik auf Schritt und Tritt - das alles hatte ich lange zu vermeiden gewusst. Und nun nehme ich es in Angriff: Ein Wochenende lang. Allein. In Venedig.
Bereits als ich ins grosse Motorboot klettere, das mich vom Bahnhof nach San Marco bringen wird, staune ich. Es ist später Freitagnachmittag. Die Sonne sendet ihre schönsten Strahlen auf den Canale Grande. Das Wasser ist smaragdgrün, die Häuser ockergelb und orange. Selbstverständliches Schauspiel von Menschen, Booten, Gebäuden und ganz viel Wasser. Ich kann meinen Blick nicht abwenden. iPhone gibt schnell seinen Geist auf beim Fotografieren. iPad hat noch Saft und macht die schöneren Fotos, auch wenn's völlig beknackt beim Fotografieren aussieht. Venedig raubt mir den Atem.
Wir erreichen die Rialto-Brücke. So schön kann Umsteigen sein. Der Kanal wird breiter und breiter und wir nähern uns meinem Ziel -Aussteigen in San Marco. Mein Köfferchen und ich rollen über die jahrhundertealten Steine der Piazzetta San Marco. Ich bin sprachlos und weit davon entfernt zu begreifen, dass ich bereits am Dogenpalast vorbeirolle, links vor uns der Campanile, über die Piazza San Marco und mitten rein ins Herz von Venedig. Wie passend, dass da drei Carabinieri auf der Piazza stehen, die ich nach dem Weg zu meinem Hotel frage. Und meinem "grazie" folgt automatisch noch mein tiefempfundenes spanisch-italienisches Kauderwelsch "que bello, bellissimo Venezia". Ein erfreutes Lächeln breitet sich aus. Gepaart mit ein wenig Stolz.
Mit meinem Hotel habe ich ein gutes Händchen, es ist sehr zentral und ein gepflegter, schöner Palazzo. Von meinem Zimmer aus gucke ich auf einen schmalen Kanal. Langsam rudern die Gondoliere vorbei. Daneben eine kleine Brücke. Ich könnte stundenlang zugucken.
Am nächsten Morgen scheint wiederum die Sonne - wäre der Wind nicht, wäre es herrlich warm. Die Stadt ist unverändert prachtvoll. Ehrfurcht gebietend. Schönheit und Vergänglichkeit ausstrahlend.
Ich wandere über den Markusplatz und gehe in den Markusdom. Hoch auf die Terrasse. Und hier habe ich eine 180 Grad atemberaubende Kulisse vor mir: Piazza San Marco, links davon der Campanile und dann mein Sonnenplatz vor der Piazzetta. Es ist so herrlich warm, dass ich mich neben einer Säule auf einen Vorsprung setze und nicht mehr weg will - das geometrische Grundmuster mit Dogenpalast links und der Markusbibliothek rechts. Am Ende der Piazzetta die beiden riesigen Säulen mit den beiden Heiligen Venedigs, Markus und Theodorus, dahinter das Meer. Ich kann mich nicht satt sehen.
Der Geist der Geschichte ist auf jedem Meter spürbar. Jedes Haus, von dem der Putz abblättert oder das gerade geflickt wird, erzählt eine Geschichte. Enge Gassen, Kanäle und Kanälchen. Und die Brücken. Ausblick nach rechts, Ausblick nach links und weitere Brücken. Da ein Durchgang - wohin der wohl führen mag? Zwischendurch sogar wunderbare Ruhe, wo keine Touristen sind. Hinter jeder Ecke eine Überraschung. Eine neue Perspektive. Und das Schönste? Keine Fahrräder! Sogar kein einziges Fahrrad! Während Amsterdam ein Spiessrutenlauf gegen das Fahrrad ist, gibt es keine Autos und keine Drahtesel in Venedig. Es geht eher gemächlich zu. Ich denke, dass es sogar für Jogger kompliziert ist, hier eine gescheite Tour zu finden. Kann es sein, dass Venedig uns entschleunigt? Schnell geht da gar nichts.
Gondoliere - immer noch Gondoliere. Im 21. Jahrhundert rudern sie die vorwiegend asiatischen Touristen durch die Kanäle. Stell Dir vor, Du bist Gondoliere in Venedig. Sommer wie Winter. Sonne und Regen. Schwüle und Kälte. Mit gestreiftem Pulli für die Touristen, oder auch dem gestreiften Hut. Ein Leben als Gondoliere. Generationen von Gondoliere. Nur Männer. Hab keine einzige Frau gesehen. Will aber auch keine Lanze brechen für weibliche Gondoliere. Kann ich es ein Handwerk nennen? Richtiger gesagt ein Beruf, jahrhundertealt. Wie das zu Venedig passt. Selbstverständlich und unfassbar. Man kann sie nur andächtig anschaun, die Gondeln mit den Gondoliere, wie sie gemächlich, ruhig, entspannt und sehr elegant durch die Kanäle gleiten.
Es würde mir, denk ich, nicht mal was ausmachen, mich von ihnen durch die Lagunenstadt rudern zu lassen. Selbst ganz allein. Denn zum Anschauen und Staunen braucht man ja nicht unbedingt jemanden. Ausser einem natürlich: dem Gondoliere! Vielleicht mach ich das. Beim nächsten Venedig-Besuch.