„Wo bitte geht’s hier zur Aare?“ frage ich die beiden Polizisten im Hauptbahnhof Bern. Ich bin schlecht vorbereitet auf meinen Besuch der Bundeshauptstadt. Mehr als die Sehenswürdigkeiten hat mich die grüne Farbe der Aare auf den Google-Bildern angezogen. Und so verliere ich keine Zeit, sondern lasse die historische Altstadt rechts liegen und finde schliesslich den schmalen Eingang von der Lorrainebrücke runter zum Wasser.
Alles ist grün hier: das Gras am Hang, das Moos auf der Mauer, die Bäume, die Hecken und natürlich die Aare. Ich bin keine zehn Minuten raus aus dem Zentrum und mutterseelenallein auf einem mystisch erscheinenden Treppenweg, in der üppigen Urwaldvegetation Berns, wo nur noch grüne Kobolde fehlen. Einzig der Himmel ist blau. Unten am Fluss angelangt, begegnet mir der ein oder andere Fussgänger, doch insgesamt bleibt es ruhig. Ich überquere die Aare über den Altenbergsteig, der „ältesten erhaltenen Brückenkonstruktion dieser Art in der Schweiz“. Von 1834.
Ist das ein Taucher da in der Aare? Nein, ein Surfer. Hier im bzw. auf dem Fluss. Er hat ein Seil an einem Baum befestigt, lässt sich mit irgendwelcher Kraft aus dem Wasser ziehen und surft gegen die Aareströmung. Das sieht cool aus! Und noch ein zweiter Surfer tanzt nach ihm auf den Wellen.
Ich spaziere weiter, geniesse die Ruhe und beschliesse, den Wegweisern zum Bärengraben zu folgen. Wenn ich schon mal hier bin. Doch vorher tappe ich in ein Seifenkistenrennen. Hier ist was los. Kleine verkleidete Piloten, Mitfahrer und Trittbrettfahrer donnern in atemberaubenden Konstruktionen den Hang hinab, haarscharf an den Strohballen vorbei. Die meisten Rennfahrer sind verkleidet, alle tragen einen – oft geschmückten – Helm. Eltern, Geschwister, OmaOpa, Freunde und sicherlich auch Paten sitzen in der Sonne auf Holzbänken, essen und trinken und feuern den Nachwuchs an. Bevor ich den mit Kreide beschrifteten Paddock der Fantasie-Autos bewundere, erliege ich der Bratwurst-Versuchung und esse die Wurst „mit Mütschli und Haussenf“.
Nur ein einziger Bär ist zu sehen. Er schläft und mag sich auch wirklich nicht bewegen. Aber das Areal mit dem frei zu besichtigenden Graben, direkt über der Aare, mit vielen Sitzgelegenheiten und einem Restaurant, mit genialem Blick auf die Altstadt – dieses Panorama hält mich weiterhin bei bester Laune. Ganz unten am Fluss, wo sich nach und nach diverse Berner Hipster und andere junge Leute um mich rum scharen, sitze ich dann in der Sonne und höre dem Fluss beim Rauschen zu.
Gegen Abend und nach Ladenschluss erkunde ich doch noch die Stadt. Hoch geht’s auf und über die Nydeggbrücke, die ich schon den ganzen Nachmittag bewundert habe. Die Gerechtigkeitsgasse im Gegenlicht mit Tischen, Stühlen und Menschen draussen zu beiden Seiten, Apero-Zeit. Vor dem Berner Münster ist dann richtig was los, auf der herrlichen Aussichtsterrasse – Boulespieler, Bänkesitzer, Aperotrinker, Sonnenanbeter, Spaziergänger, Nichtstungeniesser. Ein Ort zum Verweilen mit Blick auf den immer noch grünen Fluss.
Im Berner Münster findet gerade ein Gottesdienst statt, ich kann nicht rein. Macht nichts. Auf dem Weg zum Bahnhof grüssen mich – wieder mal von hoch auf einer Brücke – Jungfrau, Eiger und Mönch schneebedeckt in der Ferne, welch ein Panorama. Und wenn die Dame, die ich beim Casino frage, mich nicht angeschwindelt hat, so hat das Matterhorn da bei dem Dreigestirn einen Doppelgänger. „So eine Sicht haben wir nicht alle Tage!“ meint sie noch freundlich zu mir. Das will ich gerne glauben. Zum Schluss taucht dann auch noch das Bundeshaus links von mir auf und langsam begreife ich: Völlig planlos in Bern, aber das war ein perfekter Rundgang.
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