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Moin und Namaste am Wattenmeer


„Sie sollten nicht fliegen!“ hat mir die HNO-Ärztin einen Tag vor Abreise nach Tel Aviv gesagt. Flüssigkeit im linken Ohr und kein Druckausgleich. Ich sei 100% flugunfähig, hat sie mir attestiert. Ich war perplex, denn Schmerzen hatte ich keine, bloss Hörstörungen. Zu diskutieren gab es nichts, Schmerz und Risiko standen in keinem Verhältnis zu einer mit Reiserücktrittsversicherung gebuchten Reise.


Was nun? Erst mal fertig arbeiten. Dann eben keinen Koffer packen, sondern überlegen, Ich war nicht krank, nur flugunfähig. Wollte in die Ferien, war ferienreif. Da ist mir dieser Newsletter einer Reiseorganisation eingefallen, die Yogareisen und andere interessante Ferien anbietet. Ich habe Kontakt aufgenommen und ein Angebot hat gepasst: Yoga und Ayurveda an der Nordsee! In einem reetgedeckten Haus! Jubel, das isses! Und es passt zeitlich genau, wenn auch nicht gerade mit einer kurzen Anreise verbunden.


Nun bin ich auf dem Rückweg in den Süden. Knapp eine Woche lang habe ich Nordseeluft inhaliert. Ich verlasse eine Landschaft, die einen spröden Reiz auf mich ausübt.


Fünf Teilnehmerinnen und ich sitzen jeden Morgen um acht Uhr im ehemaligen Stall, der zu einem lichtdurchfluteten Yogaraum umgebaut wurde - mit grossen Fenstern, Holzdielen und Balken. Vorne bei der Kursleiterin, die gleichfalls Yoga-Lehrerin und Heilpraktikerin für Ayurveda-Medizin ist, grüsst Ganesha freundlich von einem Wandbild, Buddha meditiert darunter und ein Wandhang zeigt die sieben Chakren. Vor dem Fenster nebenan stellt der prächtige Hahn den frei laufenden Hühnern nach, das Pferd knabbert im offenen Stall friedlich an seinem Futter. Bei uns knistert leise der Pelletofen, während er alles gibt, uns Wärme zu spenden.


Zwei Stunden werden wir hier in Ruhe, Atem und Bewegung verweilen. Und wenn ich dann einmal wach geworden bin, geniesse ich es sehr. Selbst das Singen, auch wenn ich nicht mitsinge. Die schöne Singstimme der Indien bewanderten Yogalehrerin klingt schön. Noch dazu versteht die Kursleiterin, was sie da in Sanskrit rezitiert, uns erklärt und singt. Wir atmen ein. Wir atmen aus. Mein Körper biegt sich, wird warm. Und wenn am Ende der Stunde, um Shavasana zu beenden, die Klangschale dreimal ertönt, spüre ich die Töne körperlich. 


Es folgt ein vegetarisch-ayurvedisches Bio-Frühstück - klingt furchtbar gesund, schmeckt super-lecker. Zum ersten Mal in meinem Leben lacht mich Porridge an, mit frischem Obstsalat verfeinert. Und die Eier der glücklichen Hühner um uns rum schmecken besser als jedes Bio-Ei von Migros oder Coop. 


Der Rest des Tages ist frei - wenn man nicht in den Genuss einer Ayurveda-Massage kommt. Jede darf zweimal massiert werden in unserer gemeinsamen Woche. Wie es die Kursleiterin geschafft hat, ihr Leben in der norddeutschen Ebene mit einem Ayurveda-Studium so harmonisch zu vereinen, dass man manchmal nicht sicher ist, ob der Urlaub nicht gar in Indien stattfindet, ist mir ein Rätsel. Diese Frau geht ihren Weg und beeindruckt und inspiriert durch ihre Ausgeglichenheit. Welch warmes Gegenbeispiel hier im rauhen Nordwind zu den gängigen Konzepten in meiner Welt. Kann man beide vereinen? Kann ich irgendetwas aus dem fernöstlichen Norden ins vorgetaktete Arbeitsleben rüber retten? 


Eine Kurs-Teilnehmerin hat ein Auto und einen Hund. Gemeinsam machen wir Ausflüge, erkunden den Norden. Den unendlichen Strand von Sankt Peter Ording zum Beispiel. die Pfahlbauten mit der coolen Strandbar 54 Grad Nord, wo wir windgeschützt in der Sonne sitzen. 


Oder den berühmten Leuchtturm von Westerhever - den aus der Jever-Werbung. Mit dem Mann! Und dem Slogan: Wie das Land, ... - kennt jeder. Der Kult-Leuchtturm steht toll inszeniert mitten in der Salzwiese. In den beiden ehemaligen Leuchtturmwärter-Häuschen finden Seminare statt und leben die jungen Freiwilligen, die für den Schutz des UNESCO Welterbes Norddeutsches Wattenmeer im Einsatz sind. 


Wir fahren zum Emil-Nolde-Museum in Seebüll, wo der Expressionist gelebt und gemalt hat. „Farben sind Leben. Farben sind Kraft“, hat er gesagt und es gelebt. Berühmt ist der Maler für seine Blumenmotive. Geschätzt für die ‚Ungemalten Bilder‘, die während der Zeit entstanden, als die Nazis ihm das Malen verboten hatten - entartete Kunst. Und dabei hatte er sich ihnen so zugehörig gefühlt, den Nazis. Eine deutsche Vita. 


Das Meer ist recht weit weg von unserer Herberge. Nur der alte Deich ist nahe. Es folgt der Koog, das „durch Deichbau und Entwässerung aus dem Meer gewonnene Marschland“. Dann stehe ich vor dem zweiten, dem richtigen, wichtigen Deich. Ich erklimme ihn und sehe von oben auch nichts mehr als Grün, Prile, Salzwiesen, weit und breit kein Wasser - dabei ist’s kurz nach der Flut. Irgendwo ganz weit da vorne spielt es sich ab, das faszinierende Auf und Ab von Ebbe und Flut.


Auf dem Rückweg sehe ich sie dann: Windräder den Horizont entlang. Eine moderne Windmühle reiht sich an die nächste. Sehr hohe und kleinere Windräder. Im Reiseführer werde ich später lesen, sie gehören dazu wie Ebbe und Flut in diesem windreichsten Bundesland. Die Bauern, auf deren Land ein solcher Propeller-Riese steht, die sogenannten Windmüller, ernten Weizen, Raps und eben auch Wind. Es soll sehr einzräglich sein. Sieht befremdlich aus. Auch futuristisch. Unwirklich für uns Touristen, die wir die norddeutsche Landschaft in uns einatmen. Die weite Ebene.  


Zum Abschluss meiner Ferienwoche gehe ich noch eine Weile in den Yogaraum und wünsche  mir einen solchen in Zürich. Dann komme ich in den zweiten Genuss einer Ayurveda-Massage im friesischen Haus mit wohligem Behandlungsraum. Schliesslich kommt eine Freundin auf einen Besuch vorbei. Es hat sie in den Norden verschlagen. Ja, das kann ich jetzt viel besser verstehen. Aber warme Sachen braucht man. Ein Auto. Und Gelassenheit - sei sie nun nordisch oder ayurvedisch. Namaste.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jutta (Mittwoch, 10 Juli 2019 08:24)

    Eben erst gelesen... so schön!