Vor mir die Steilküste, wie ich sie mir gewünscht habe. Noch dazu mit einem Leuchtturm drauf, der nachts blinkt. Zwischen den Felsen von Capo Caccia und mir das Mittelmeer, die Bucht von Porto Conte. Die Wellen rauschen, es ist die einzige Musik. Über mir wolkenverhangener Himmel. Es beginnt, leicht zu regnen an Sardiniens Westküste. Das Meer verändert seine Farbe und seinen Klang. Es bleibt schön.
Ich will Meer
Ob ich mir vielleicht doch irgendwann dieses Häuschen irgendwo auf der Welt mit Blick auf eine Steilküste kaufen werde? Bestimmt nicht. Aber es bleibt eine friedliche Vorstellung. Vielleicht ist das auch nur meinem Tierkreiszeichen Krebs, einem Wasserzeichen, geschuldet. Wenn ich schon wahrlich keine Wasserratte bin und mit Müh und Not damals den Fahrtenschwimmer gepackt hab. Kennt heut auch kein Mensch mehr. Musste dann noch vom Dreimeterbrett springen. Hatte Angst. Der Bademeister hat mir einen langen Stock gereicht. Festgehalten - und heldenhaft abgetaucht.
Neben meiner schönen Herberge steht die Ruine eines Wachturms. Daneben ein kleiner Leuchtturm. Hat gestern bei Sonnenschein sehr schön ausgesehen. Rechts davon die Müllcontainer mit überbordendem Abfall. Sehr schade, dass sie mit bester Sicht auf die Bucht aufgestellt sind. Ringsum Katzen. Putzen sich auf dem Ruinenboden vor dem Wachturm - ein Stelldichein der Wildkatzen. Zwei Männer haben sie gerade ins Visier genommen und fotografiert, sahen aus wie Profis mit ihren grossen Kameras und dem Stativ. Hinter ihnen der Besucher- und Hotelparkplatz. Lehmboden und Kieselsteine. Eigenwilliges Arrangement.
Und just an diesem Ort sardischen Stilllebens höre ich ein „hallo Bettina!“. Drehe mich um und erblicke Christiane und Oliver aus meinem Holzworkshop! Na, das ist ja'n Ding! Genau innerhalb der drei Minuten, in denen ich zum Auto gehe, sehen wir uns hier wieder. Es gibt sie, diese Zufälle. Sportlich-aktiv wie die Beiden sind, waren sie schon an der Grotta di Nettuno und sind danach noch auf einen Berg gewandert. Ich bin beeindruckt von den schönen Grotten-Treppfenstufen-Fotos, die Tteppe geht direkt am Fels entlang. Vielleicht fahre ich da auch noch hin. Aber heute und morgen will ich einfach nur abhängen. Deshalb ja dieses Hotel am Meer.
Olivers Fotos erklären mir dann, was mit den Schiffen passiert, die das Felsmassiv vor meinen Augen rammen und sich dann in Luft auflösen - ach so, sie fahren in die Grotte vor Capo Caccia rein und holen dort die Besucher ab, die die 654 Stufen nimmer hoch laufen wollen.
Das Paar wird noch schwimmen gehen, dann zurück nach Alghero fahren. Ich dagegen bewege mich heute noch maximal zum Lebensmittelhändler um die Ecke - nach lokalen Leckereien gucken. Denn ich will ja vor allem Felsen sehen. Und das Meer.
Holz und Meer
Hinter mir liegt eine wundervolle Woche Holzworkshop auf Sardinien. Auf dem biologisch-vegetarischen Agriturismo Sole e Terra, irgendwo im Norden Sardiniens, etwa 40 Minuten von Olbia entfernt. Und vom Meer.
Holz, Eisen, Klöppel
Am ersten Tag des Workshops das Holz aussuchen. Ich entscheide mich für die Erle, weil ich einen dicken Stamm möchte. Das Holz soll weniger hart sein als die schönen Äste des Olivenbaums und des Erdbeerbaums, für die sich Stefania und Marlene entscheiden. Äinschi und Oliver sind mit mir mit einer Erle dabei. Christiane zückt ein Stück Holz, das sie mitgebracht hat, um dem Mann, den sie bereits bei einem früheren Workshop „geschnitzt“ hat, nun eine Gefährtin zu schaffen. Aus dem Holz einer Pappel.
Mit unseren Hölzern geht’s runter in Richtung Garten, wo wir unter einem wunderbaren Eichenbaum unsere Holzhack-Lager aufbauen. Erst bohrt Markus ein Loch in jeden Stamm, dann wird das Holz je nach gewünschter Ausrichtung stehend oder liegend auf dem Holzschemel festgezogen. Es folgt die Einweisung des Meisters ins imposante Werkzeug. Ich lerne, dass es bis zu 11 Bildhauereisen-Normen, d.h. Krümmungen („Stich“) gibt - plus den v-förmigen Geissfuss. Jeweils unterteilt in verschiedene Breiten des Eisens. Da ich es z.B. meist rund will, hab ich fast alles mit einem Eisen der Nummer 9 gehauen, mal breitere Klinge, mal schmalere.
Wir Rechtshänder halten das Eisen links. Den Klöppel rechts. Und hauen los. Ziemlich aufregend wie das Holz reagiert. Und was man so haut. Ich bin wie so oft völlig planlos, haue erst mal die halbe Rinde ab und trage dann die Schichten ab. Versuche, dem Holz zu folgen - mal geht’s in die eine Richtung, mal in die andere. Schön ist’s, wie bei meiner Erle das Holz in den Aussenschichten leicht rötlich verfärbt ist. Ich folge den Farben oder der Richtung. Ich haue im Rhythmus oder auch nicht. Ich bin bei mir und beim Holz. Meist ist es ruhig bei uns, zumindest am Anfang. Ein jeder haut oder schabt konzentriert, entspannt oder meditativ, wie auch immer vor sich hin.
Die Geburt der Bella
Ab und an Gesang von weiter unten, vom Sonnenplatz, den sich Äinschi, das Original aus der Nähe vom Ammersee, zur Erschaffung der„Bella Figura“ ausgesucht hat. Dort wird gelacht, man unterhält sich mit dem Erlenstamm. Ja, auch ruhig ist’s - selten. In der Regel geht was ab - kräftiges Hämmern oder kräftige Stimme. Frau plaudert auch gerne mal ne Runde mit Meister Eder. Oder dann der Ausruf „Du bist ne geile Frau!“ in direktem Dialog mit der auch weiterhin stummen Holzfigur.
Erst am vorletzten Holzworkshop-Tag gesellen wir uns zu Äinschi und Bella Figura. Die Sonne ist dort gar so schön. Ausserdem wird gleich Bellas Geburtstag gefeiert - Äinschi ist gestern ausgebüxt und hat sardische Süssigkeiten mitgebracht - wunderhübsches Mandelgebäck und andere verschnörkelte Leckereien. Zum Festtag trägt Bella ein rotes Halstuch, das zufallsfrei der Lippenstiftfarbe ihrer Schöpferin gleicht: Happy Birthday, liebe Bella!
Ohne zu zögern hatte sich Äinschi für den kräftigen Erlenstamm mit der Verästelung entschieden. Wie geschaffen für ihre Frau mit gewaltiger Krone, dickem Bauch und grossen Füssen. Und natürlich entsteht ein Prachtexemplar, das auf wundersame Weise exakt die Grösse hat, um perfekt in Äinschis Koffer zu passen.
In einer Nacht und Nebel Aktion mit Bruder-im-Geiste Oliver schleppen sie nach dem Abendessen den Koffer zu Bella runter in den Garten und messen aus. Wie gemacht ist sie für den grossen Koffer. Und mit 8.4 kg Lebendgewicht eingebettet in Äinschis Klamotten, wird die besondere Figur den Flug heil überstehen und sicher in der bayerischen Wohnung ankommen. Dort wird sie sich bestimmt neben Holzfigur Elvis als Abbild des echten Drahthaar-Foxterrier-Elvis von Äinschi schon sehr bald heimisch fühlen.
Drei Wellen, zwei Drachen, eine Gruppe
Ich stehe an der Punta Falcone in Santa Teresa di Gallura und schaue aufs Meer. Blau ist es, mässig bewegt. Und diese Wellen. Es geht ein angenehmer Wind, während wir in der Abendsonne beim Kreuz verweilen und dann noch Foto-Session machen. Geben sie mir Inspiration für meine Erle?
Meine Holzfigur ist mässig vorangeschritten. Täglich ändert sie sich, ohne dabei eine konkrete Form anzunehmen. Einmal sah sie aus wie eine Schweizer Berglandschaft. Dann deutliche Ähnlichkeit mit einer Frauenbrust. Neulich beim Mittagessen haben wir vom Flow gesprochen. Ich habe an Wellen gedacht. Jetzt hier das Mittelmeer.
Meist sagen meine Holzkunst-Gesellen nichts, manchmal höfliche Motivationsworte. Nach dem entscheidenden Tipp von Meister Markus freilich wird es dann doch noch was mit der Wellenoptik. Was auch immer aus meiner Erle entstanden ist, ich mag die Formen, die Bewegung. Oliver und Christiane nehmen sie im Auto mit nach München. Er wird sie mir dann per Post schicken.
Hab meine Erle auf das Steinmäuerchen vor dem Auto gestellt, um Fotos zu machen und zu schauen, ob die Wellen irgendwie an Profil gewinnen. Mein Holz hat gewackelt. Der Meister meint: „Es schaukelt."
Ich durfte Olivers Drachen-Stillleben aus Holz, Knete, Eisen und Klöppel als Porträtfoto auf Instagram posten. Sehr stolz: Wir haben 12 Likes.
Impressionen
Sole e terra
Das Agriturismo liegt nicht am Meer. Auch ist es rein vegetarisch - kein Fleisch, kein Fisch (ausser Pasta mit Sardellen natürlich), Eier nur, wenn man sie sich wünscht. Der Hauswein ist Bio und das ist das Gute daran. Doch wenn man sich ans Vegetarische gewöhnt hat, an wenig am Mittag und vier Gänge am Abend, dann geniesst man die frischen Zutaten, die handgepflückten Kräuter, den hausgemachten Kuchen, die raffiniert-einfache Pasta und die bunte Mischung aus Obst im Salat.
Die Frauen in der Küche und im Service sind herzerwärmend, Alessandro ein Erlebnis und Mittelpunkt aller Tischgespräche. Die Besitzer sind mit Freunden zu Besuch und nehmen uns auf wie Freunde. Es gipfelt im 14prozentigen Hochgenuss, als wir Teil des Ausschanks aus einer Drei-Liter-Flasche Barium Isola dei Nuraghi 2014 werden. Danach hören wir Compare Mario auf der Fleischgeige „Azurro“ spielen …
Tomba di Gigante, Nuraghe und der Bärenfelsen am Meer
Capo d’Orso sieht aus wie ein Bär. Bloss dass man die Stelle, von wo aus die Bärengestalt erkennbar ist, nicht betreten darf, weil es dort Tote gegeben hat. Kein Wunder bei der Krakelei dahin. Auch ohne diese Ansicht ist das Gesamterlebnis wunderbar.
Capo Testa und Santa Teresa Gallura am Meer
Glücklich sein ist … ein paar Stunden auf den Felsformationen sitzen, stehen, klettern, tanzen, hüpfen … hier muss Gaudi seine Inspiration gefunden haben.
Millennial-Olivenbäume und rote Korkeichen
Andächtig spazieren wir um den 3000-4000jährigen Olivenbaum herum. Und berühren den 2000jährigen. Im Zauberwald. Später dann ein weiterer verzauberter Wald - der der Korkeichen, deren Stamm alle 8-10 Jahre geschält wird.
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Äinschi Erika Sissi B. (Dienstag, 16 Oktober 2018 19:09)
Liebe Lotte, liebe Schnitzfreundin, liebe Meeresgefährtin, liebe Bettina,
mich hat der Alltag seit zwei Tagen bereits wieder zu umschlingen versucht - doch ich habe mich gerade aus seinen Fängen befreit. Deine Geschichte über unsere gemeinsame "Kreativ"woche hat mich seinen Fängen ganz und gar entrissen. Dank deiner wunderbaren Art, die Erinnerung an die schönen Tage auf Sardinien darzustellen, bin ich wieder eingetaucht... in die blauen Wellen am Capo Testa, hab den Duft der Hölzer wieder in der Nase und höre dein äußerst ansteckendes grunzendes (sorry aber es war so) Lachen, wenn wir gemeinsam den armen Alessandro mit deutsch bayrischen Redeschwällen überforderten.
In deinen Bildern hast du Stimmung und Farben eingefangen, die mich gerne nochmal zurückschauen lassen. Kamera hin oder her... wenn man das Auge nicht hat, welches weiss was es einfangen muss, bringt die beste Kamera nix. DU hast dieses Auge!
Ich bin sehr froh, dass ich Euch alle in dieser Woche kennengelernt habe. Den einen mehr, den anderen weniger... du gehörst zu den Ersteren und ich hoffe, wir sehen uns mal wieder... bella Bettina, die mit dem "9er" im Flow dem sardischen Erlenholz die Wellen und Rundungen gab, die es brauchte.
Ciao und noch eine wunderbare Zeit dir, auf dieser traumhaften Insel!
Es grüßen dich aus Bayern: Äinschi mit Elvis und Bella ;-)
Äinschi Erika Sissi B. (Dienstag, 16 Oktober 2018 20:04)
Kleiner Nachtrag:
ICH bin ein Mensch der noch den Fahrtenschwimmer kennt und auch hat! Trage das Abzeichen noch heute an meinem Dirndlbadeanzug.
Deine Beschreibung hat mich daran erinnert.... herrlich. Vom Dreier mit Bademeisters Schützenhilfe. Ich brech zamm... ;-))))
Kerstin (Dienstag, 16 Oktober 2018 21:29)
Ich war vor 17 Jahren mal auf Sardinen, im ersten Drittel schwanger, hormonell durchgeknallt und überempfindlich. Es war der erste Urlaub, wo ich es kaum erwarten konnte wieder auf die Fähre Richtung Heimat zu kommen. Sprich Sardinien war mir nicht gut im Gedächtnis geblieben.
Aber jetzt, mit dieser Erzählung und diesen super schönen, ausdrucksvollen Bildern, sollte ich der Insel vielleicht noch einmal eine Chance geben! Danke
Marion (Mittwoch, 17 Oktober 2018 08:42)
Tolle Beschreibung, interessanter Workshop, und wunderschöne Bilder.
Ich bin begeistert... ;-)
Alexandra (Ali) (Montag, 22 Oktober 2018 07:36)
Klingt und sieht nach einer wunderbaren Zeit aus! Sooo schöne Fotos und natürlich wieder toll geschrieben :)