Über meinen Füssen sehe ich links das Kirchendach und einen Teil des Glockenturms, in der Mitte den blauen Himmel mit zarten weiss durchzogenen Wolken und rechts
den prächtigen Kastanienbaum. Ich liege auf dem Rücken in „Happy Baby“ Position im feinen Kies neben der Kirche Enge, die hoch auf dem Hügel das Quartier überragt, dem sie seinen Namen gibt: die
Enge. Und während ich über meine Füsse, die Kirche und die Natur um mich herum sinniere, ist mir bewusst, wie glücklich ich bin. Kein happy Baby. Aber eine innerlich lächelnde
Frau.
Welch glücklicher Zufall war das doch diese Woche, dass ich meine Arbeitskollegin, mit der ich zum ersten Mal zum Mittagessen verabredet war, spontan gefragt habe, wo sie denn Yoga mache. Und sie hat mir vom Yoga hoch oben bei der Kirche Enge erzählt. Das Angebot gilt im Juni, am ersten und letzten Samstagmorgen sowie jeden Mittwochabend: bei schönem Wetter draussen neben der Kirche. Bei schlechtem Wetter drinnen - in der Kirche!
Ich teste das Yogaangebot am Samstagmorgen bei strahlendem Sonnenschein. Zur Rechten des Kirchenbaus, dort wo eine Kastanie Schatten spendet, dort sitzen sie bereits auf ihren Yogamatten und sind bereit. Vorne die Yogalehrerin, die sich als Susen vorstellt und mich begrüsst. Und rechts unter dem Baum steht ein Klangkünstler mit seinem Orchester aus mehreren riesengrossen Klangschalen. Susen ist verkabelt, so dass man von überall aus ihre angenehme Stimme hören kann. Es sind etwa 15 Teilnehmer dabei, die Geräusche von Vorgelzwitschern, Kirchenglocken und Strasse erfordern das technische Hilfsmittel. Auch ihr Partner Andy ist bei uns und macht die Übungen mit vor bzw. korrigiert uns bei den Asanas.
Selbst der Pfarrer weilt unter uns, er hockt in meiner Reihe und wird als Yogafan begrüsst, der möglicherweise bei der heutigen Form des Yoga - Hatha-Flow - Mühe haben werde - dann einfach in den Hund gehen oder in Childs Pose. Wir wissen, was gemeint ist. Der Pfarrer hatte gleich bei mir gepunktet, weil ich ihn gefragt habe, wo ich mich umziehen könne - „Einfach in der Kirche, sie ist geöffnet.“ Herrlich wohltuend, diese praktische, unverkrampfte Form, mit einem Gotteshaus umzugehen.
Ich geniesse die 90 Minuten. Auch wenn sie mir einiges abverlangen. Viele Sonnengrüsse. Viele Schweissperlen. Der (Yoga-)Baum, mit dem ich immer Mühe habe. Am liebsten mag ich die Übungen im Liegen, weil ich dann auf die Kirchenfassade gucken kann und mir der Besonderheit dieser Stunde bewusst werde. Dazu die Anweisungen der Yogalehrerin und die Töne der Klangschalen. Ich bin voll da und bei mir und hier und jetzt. Und genau so soll’s ja auch sein. Als ich endlich im Shavasana liegen darf, fliesst die Energie. Und ich weiss, dass das heute eine gute Entscheidung war. Ob es nun an den Yogalehrern liegt, an der Kirche, der Natur oder an mir.
Man steht dann noch ein wenig beisammen am Ende der Stunde, unterhält sich. Die Yogalehrer wollen wissen, wie’s war - es ist ja ein neues Projekt von Yoga Gold und Kirche Enge. Ich brauche wohl nicht viel zu sagen. Ich strahle. Beim Umziehen in der Kirche fällt mir auf, dass auf einem der Flyer steht „reformierte Kirche Enge“ - ja wie, das ist keine katholische Kirche? „Nein“, bestätigt der Pfarrer, „viele Leute denken das zwar, aber die Kirche Enge ist eine reformierte Kirche.“ Irgendwie schon gut, dass ich noch in der Kirche bin, denke ich. Ein Hausnachbar kommt auf mich zu und begrüsst mich, war auch beim Yoga dabei, ist eng befreundet mit den Yogalehrern. Kleine Welt. Ich setze mich noch eine Weile auf die Sonnenbank vor der Kirche, bevor ich den weiteren Tag lächelnd begrüsse.
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