Wien, Tag 3
Zweiter Arbeitstag in Wien: Am Vormittag haben wir geübt, Nachrichtentexte zu sprechen - uns abgemüht, uns gegenseitig aufgenommen, den Kopf geschüttelt. Wie so oft: Das Alltägliche ist banal bis zu dem Moment, wo man sich selbst darin versucht.
Anschliessend Teil II des Logopädie-Türkisch-Mix-Kurses bei Harald und dessen Bibel "Bühnendeutsch nach Seib". Zwischendurch hab ich so an der Sinnhaftigkeit von "füh-lün" und "schlän-güln" gezweifelt, dass ich den Trainer gebeten habe, uns etwas vorzulesen: Ist es möglich, diese Kunstsprache anzuwenden? Keine weiteren Fragen - es war ein Ohrenschmaus.
Es ist Sonntag. Ich war um Punkt neun Uhr im Kurs. Er ging bis 18.30 Uhr. Wenn das kein Tag für ein Wiener Schnitzel ist, wann dann? Und so bestelle ich "Schni-Po-Sa" im Bellaria am Abend, während es draussen langsam dunkel wird. Nur wenige Gäste sind noch im Restaurant, denn die Museen sind bereits geschlossen. Und bald haben es auch die Ober hier drinnen geschafft - um 21 Uhr ist Feierabend.
Am Nebentisch musste mein Ober sich zwei Deutschen gegenüber über den Salzgehalt eines Gerichts äussern - "es hat noch keine Klagen gegeben", antwortet er lakonisch. Ich dürfte dann nicht die erste sein, die ihn fragt, was ein 'Sacher Würstel' ist. In meiner Phantasie handelt es sich um einen süssen, marmeladegefüllten, dunklen Teig, der in eine Schoko-Hülle eingerollt ist. Aber nein, es sei ein Frankfurter Würstel.
Das Etablissement ist so, wie ich's mir vorstellen würde: historisches Gebäude, Gemälde an den Wänden, Möbel, die alt sind, ohne antik zu sein. Hohe Decken, Kronleuchter. Ein Klavier. Aber warum erklingt hier Country-Musik aus den Lautsprechern?
Draussen laufen nur noch wenige Touristen vorbei. Das Naturhistorische Museum gegenüber ist mittlerweile beleuchtet, die Busse sind verschwunden. Es ist Nacht in Wien, und der Vollmond zeigt sich über der Donaumetropole.
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