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Vier Königinnen in Zürich

Diese Helligkeit, wenn es geschneit hat! In meiner Wohnung denke ich mehrfach, ich hätte das Licht brennen lassen. Der blaue Himmel über Zürich scheint ein Geschenk zum Heilige-Drei-Königs-Tag zu sein. Im reformierten Zürich ist heute kein Feiertag, wohl aber einer für mich – denn es ist mein erster freier Freitag! Ab heute reduziere ich meine Arbeitszeit auf 80 Prozent. Das Ganze im Vertrauen, in der gewonnenen Zeit Dinge zu tun, die sonst auf der Strecke bleiben. Schreiben zum Beispiel. 

Bei diesem herrlichen Sonnenschein zieht’s mich raus. Eingemummelt in den dicken Kunstfell-Mantel, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er mir wirklich gefällt. Mit Mütze und zwei Schals (ein kuscheliger um den Hals, ein grosser rund um Hals und Kinn) sowie Handschuhen ausgerüstet. An den Füssen die gefütterten Schnäppchen-Schuhe vom Freundinnen-Wochenende in Madrid. Sie werden mich wärmen und sicher durch Schnee und Eis bringen, hätte ihnen das irgendjemand zugetraut?

 

Nach wenigen Metern treibt mir der nur leicht, dafür aber eisig wehende Wind Tränen in die Augen. Ich beschliesse,

nicht runter zum See zu laufen, sondern den Panoramaweg oberhalb, einen meiner Lieblingswege, zu gehen. Kaum Menschen unterwegs: Postbote, Frauchen mit Hund, Jogger, Vater mit Kind. Himmlische Ruhe und prächtige Sicht auf pudergezuckerte Landschaft mit Häusern und Strassen. Am Hang unter der Kirche Auf der Egg dann endlich – Schlitten in Sicht! Zwei Kinder mit Papa, der die Talfahrt seines Sohnes kommentiert und gelassen ankündigt, dass der Schlitten gleich gegen den Zaun donnern wird. So geschieht es. Ich lache los, nix ist passiert, es war nur ein leichtes Donnern. Papa jagt jetzt den Hund runter zum Crash-Piloten. Hund rast runter, bellt vor Freude, begrüsst Kind, rast wieder hoch. Viel Energie vorhanden, hier auf dem Hang.

 

Langsam frieren mir die Oberschenkel ab – welch willkommener Vorwand, im Bürgli einzukehren. Trotz Mittagszeit ist man freundlich zur Allein-Frierenden. Im Stübli wird mir ein runder Tisch mit viel Fensteraussicht zugewiesen. Perfekt – mit Pfefferminztee. Das zauberhafte Restaurant in Wollishofen ist gut besetzt am Dreikönigstag. Mit mir sitzen hier ein Mann mit seiner Oma, die er zum Essen eingeladen hat, zwei wahrscheinlich Rentnerinnen, eine Familie. Vorne im Restaurant ist’s voll besetzt mit Leuten, die wissen, wo’s schön ist. Beim Rausgehen gratuliere ich einer Dame mit goldener Dreikönigs-Papp-Krone im Haar. Sie geht wortlos weiter in Richtung Händewaschen, bleibt dann stehen, dreht sich um: „Ach, Sie meinen mich? Ich hab ganz vergessen, dass ich die Krone auf hab,“ sagt sie lächelnd.  

 

Nun aber doch noch runter zum See, ich will übers Wasser laufen auf dem Holzsteg bei der Roten Fabrik. Auch hier unten ist nix los - zwei Spaziergänger, drei Schneejogger. Hinter der Schiffswerft sind zwei Graffiti-Sprayer auf Leitern und mit Gasmaske am Werk. Ich quatsche einen davon an. „Nein,“ antwortet er, „das ist nicht illegal. Hier dürfen wir offiziell sprayen. Ich verdiene mein Geld mit Graffiti, aber das hier wird nicht bezahlt, nein, das machen wir freiwillig.“ Eine Dose des Sprays koste acht Franken – da kommen stolze Summen zusammen, wird mir bewusst. „Mit der Gasmaske, ja, da sind wir perfekt geschützt. Es kann nichts passieren,“ meint er. Graffiti wird trotzdem nicht mein neues Hobby, beschliesse ich. Ich würde den Jungs wenigstens einen Sonnenplatz gönnen, aber sie sprayen im Schatten.

 

Dann kommt der Kinderspielplatz vor den farbenfrohen Graffiti-Fratzen der Roten Fabrik. Endlich wieder Sonne! Bei Schnee sieht alles wieder anders aus, intensiver durch dieses besondere Licht. Hier beginnt der Holzsteg rüber bis zur Höhe Badi Wollishofen. Ich bin fast allein unterwegs. Mann mit Hund und Handy kommen mir entgegen. Hund sieht aus wie einer dieser gefährlichen Terrier, zum Glück isser wenigstens klein. Augenscheinlich liebt auch dieser Hund Schnee! Die vermeintliche Kampfbestie rollt sich quietschvergnügt vor seinem Herrchen in meine Richtung im Schnee - wirft sich auf den Rücken, alle Viere nach oben, rutscht ein Stück, kämpft sich wieder auf die Beine, rennt weiter und schlittert, sich kugelnd, weiter. Kampfhund sammelt Pluspunkte.

 

Mit Bus und Tram in die Stadt, wo ich an diesem Freitagnachmittag nicht ganz allein bin. Die meisten Leute sind wie ich warm verpackt. Zwei Teenagerinnen fallen mir auf, die in Turnschuhen und nur mit kurzen Socken - damit diese paar Zentimeter zwischen Knöchel und Röhrenjeans frei bleiben - unterwegs sind. An meinem Ziel, Apple-Store, angekommen, begegnet mir die zweite Königin des Tages. Ein kleines Mädchen trägt stolz die Krone, während sie mit ihrem Vater, all den andern und mir geduldig in der Schlange der Auskunft-Suchenden steht.

 

Zum krönenden Abschluss dieses Dreikönigstags erobere ich meinen Platz im Aufzug hoch zur Jules-Verne-Bar der Brasserie Lipp. Prächtige Aussicht auf das sich in der Dämmerung erhellende Zürich bei einem Glas Prosecco – das geht auch allein. Die Bar ist jetzt gegen fünf Uhr proppenvoll. Die begehrten Fensterplätze sind belegt, aber in der zweiten Reihe ist noch ein Tisch frei, an dem es gleich drauf herrlich prickeln wird für mich, sogar mit Nüsschen. Als das Paar am Tisch nebenan zahlt, sehe ich in der Handtasche der Frau etwas golden glänzen: Aha, also noch eine vierte Königin an diesem Tag!

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Vier Königinnen in Zürich
Vier Ko¨niginnen In Zu¨rich (4).m4a
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